Warum DeutschlehrerInnen andere Sprachen lernen sollten

„Andere Sprachen? Jetzt doch? In dem anderen Beitrag hieß es doch, dass man als DaF-LehrerIn nicht zwangsläufig andere Fremdsprachen sprechen muss?!“

Das stimmt. Es ist für den Deutschunterricht an sich nicht notwendig, eine andere Sprache sprechen zu können. Mehrsprachigkeit kann uns dennoch auf verschiedenen Ebenen helfen, guten Unterricht zu machen:

1. Unterschiedliche Sprachstrukturen entdecken

In der Schule lernen wir ja in der Regel Englisch und zusätzlich eine romanische Sprache wie Französisch, Spanisch oder auch Latein. Wer nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, wird gemerkt haben, dass diese Sprachen viele Parallelen aufweisen; sowohl in der Grammatik als auch im Vokabular.

Spannend wird es, wenn man eine Sprache lernt, die sich deutlicher unterscheidet: etwa durch ein anderes Alphabet (z.B. Russisch (Kyrillisches Alphabet) oder Hindi (Devanagari)), oder ein komplett anders aufgebautes Schriftsystem, das eine logographische anstelle einer alphabetischen Schrift benutzt (Chinesisch, zum Teil Japanisch).

Eine ungewohnte Schrift, ganz anders strukturierte Grammatik und Phänomene, die man aus der eigenen Sprache gar nicht kennt, machen einem das Lernen zunächst einmal schwer. Man wird immer wieder dazu gezwungen, die Ausdrucksweise mit der eigenen Muttersprache zu vergleichen und setzt sich automatisch mehr damit auseinander.

2. Muttersprachabhängige Sprachprobleme verstehen

Durch den Vergleich anderer Sprachstrukturen mit dem Deutschen entwickelt man schnell ein Gefühl dafür, wo und warum Lernende ins Straucheln kommen.

Mal ein Beispiel: die beiden deutschen Höflichkeitsebenen „du“ und „Sie“. Für einen koreanischen Muttersprachler ist das kein Problem – denn im Koreanischen gibt es vier oder fünf solcher Stufen. Da ist es ja wohl ein Klacks, sich zu merken, wann man jemanden duzt oder siezt. Für Menschen, in deren Muttersprache keine Unterscheidung in der Anrede gemacht wird, ist es hingegen schwieriger zu merken und sie werden länger brauchen, bis sie die Regeln verinnerlicht haben.

Natürlich gilt das nicht nur für „du“ und „Sie“, sondern auch auf anderen Ebenen der Grammatik oder auch bei der Phonetik (Aussprache).  Wer sich mit anderen Sprachen auseinandersetzt, kann derartige Probleme bei seinen SchülerInnen besser nachvollziehen und behandeln.

3. unterschiedliche Lehrstile kennen lernen

Sprachunterricht wird im besten Fall ja von MuttersprachlerInnen erteilt. Dabei kommen auch die kulturspezifischen Lehrmethoden zum Einsatz. Meine Russischlehrerin Olga war leicht chaotisch und emotional, meine Japanischlehrerinnen (die wir niemals mit dem Vornamen angesprochen hätten! Da beginnen schon die kulturellen Unterschiede…) ausgesprochen gut organisiert und kühl.

Andere Lehrkräfte bei der Arbeit zu beobachten ist per se schon einmal empfehlenswert, da man sich gute Methoden abgucken kann. Aber auch im generellen Lehrstil werden einem womöglich Unterschiede zum „typisch deutschen“ Unterricht auffallen: Gibt viel Frontalunterricht oder auch Gruppenarbeiten? Wie viel Sprechzeit haben die einzelnen SchülerInnen? Wird mehr Wert auf mündliche oder schriftliche Kommunikation gelegt? Werden die Lernfortschritte mit ((un-)angekündigten) Tests (mündlich/schriftlich) kontrolliert? usw…

In vielen Ländern wird die meiste Zeit auf Frontalunterricht gesetzt. Wenn man solche KursteilnehmerInnen hat, darf man nicht davon ausgehen, dass sie sofort wissen, wie sie eine Aufgabe in Partner- oder Gruppenarbeit erledigen. Stichwort: Lernen lernen.

4. Lernerprobleme erleben

Ganz unabhängig von der Sprache oder dem Unterrichtsstil gibt es einige Probleme, die KursteilnehmerInnen immer wieder haben und die ihnen zum Teil die Motivation am Sprachenlernen nehmen.

Dazu gehört zum Beispiel das Vorlesen vor der Klasse. Die meisten Menschen empfinden es als unangenehm, wenn sie einen unbekannten oder schwierigen fremdsprachlichen Text ohne ausreichende Vorbereitungszeit vor anderen Menschen vorlesen müssen. Sie fürchten sich davor, dass sie einen Fehler machen und vom Lehrer getadelt und/oder von den Mitschülern ausgelacht werden.

Wenn die Lehrkraft nun einen Text (zum Beispiel aus dem Lehrbuch) reihum vorlesen lässt (jeder einen Satz), ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die KursteilnehmerInnen gar nicht auf den Text konzentrieren, sondern schnell abzählen, bei welchem Satz sie „dran“ sind und sich still darauf vorbereiten. Na, kommt euch das aus der Schule bekannt vor? Die Schüler hören gar nicht richtig zu und geraten in eine Stresssituation – lose/lose also! Wer selber eine Sprache lernt, erlebt solche Momente selber und kann sich viel besser in die KursteilnehmerInnen hineinversetzen und solche Sitationen in Zukunft vermeiden.

Wie könnte der Lehrer aus dem Beispiel es besser machen? Zum einen durch die Vorentlastung: Es wird auf das Thema des Textes hingearbeitet; unbekannte Vokabeln werden geklärt (sowohl Bedeutungs- als auch Ausspracheseite) und der Text wird von CD abgespielt oder vom Lehrer vorgelesen. Falls SchülerInnen freiwillig vorlesen möchten, können sie das gerne tun. Ansonsten wird der Klasse Zeit gegeben, den Text alleine oder mit dem Partner zu üben. (Währenddessen evtl. auftauchende Vokabelfragen klären!) Dann sollten sich die SuS sicher genug fühlen, einen Teil des Textes vorzulesen.

5. Lerntechniken ausprobieren

Wer selber wieder Vokabeln pauken muss, setzt sich auch mit verschiedenen Lerntechniken auseinander: der gute alte Karteikasten, ein Vokabelheft oder doch lieber eine App? Alleine lernen, oder in der Gruppe? Verschiedene Lerntechniken und –methoden am eigenen Leib auszuprobieren hilft den LehrerInnen, diese in ihren Unterricht zu integrieren. Gerade lernungewohnte TeilnehmerInnen, die das Lernen erst noch lernen müssen, profitieren davon, wenn man ihnen explizit verschiedene Lerntechniken vorstellt.

studying

Muss man eine Fremdsprache fließend sprechen können, um von diesen Vorteilen zu profitieren? Mitnichten. Bereits ein A1-Kurs (GER) gibt gute Einblicke. Sprachkurse werden beispielsweise an Hochschulen und Volkshochschulen angeboten; Autodidakten können mit Büchern oder Apps (z.B. Duolingo) lernen.

Wer eine Sprache nicht selber lernen will, sondern sich ihr auf linguistischer Ebene nähern will, sollte zunächst einmal einen Blick auf den entsprechenden Wikipedia-Artikel werfen. Darüber hinaus empfehle ich zwei Handbücher, die diverse Sprachen abdecken:

  • Comrie, Bernhard (Hrsg.) (2009): The world’s major languages. London: Routhledge. [ISBN: 978-0-415-35339-7]
  • Rölcke, Thorsten (Hrsg.) (2003): Variationstypologie. Ein sprachtypologisches Handbuch der europäischen Sprachen. Berlin: de Gruyter. [ISBN: 3-11-016083-8]

Beide Bücher sind leider ziemlich teuer, aber vielleicht findet ihr ein Exemplar in eurer örtlichen Uni-Bibliothek?

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