Erfahrungsbericht: Deutsch mit Flüchtlingen

Das Projekt „Deutsch mit Flüchtlingen“ der Hochschule RheinMain bringt Geflüchtete und Studierende zusammen. Studierende aus verschiedenen Fachrichtungen unterrichten ihre Muttersprache Deutsch. Wie sich dieser Perspektivwechsel anfühlt, berichtet in diesem Gastbeitrag die Studentin Cora.

Manchmal gibt es im Leben Momente, in denen man Entscheidungen trifft, ohne lange darüber nachzudenken; Entscheidungen, bei denen man sich möglicherweise schon Sekunden später selbst fragt: „Wieso habe ich das getan?“. Meine Zusage dazu, mich in meinen Semesterferien ehrenamtlich bei einem von meiner Hochschule organisierten Projekt zu engagieren, in dem Studierende Geflüchteten Deutschunterricht geben, war so eine Entscheidung. Denn allein der Gedanke daran, vor einer Gruppe Menschen zu sprechen, verursacht bei mir Übelkeit, Herzrasen und schweißnasse Hände.

IMG_3136_2Ich habe mich mein gesamtes Studium hindurch um Referate und Vorträge herumgemogelt, wenn es irgendwie möglich war. Was also hat mich dazu bewegt, mich freiwillig in genau die Situation zu bringen, die ich sonst mit allen Mitteln vermeide? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich meine Entscheidung nicht bereut.

Das Projekt fand in fünf aufeinanderfolgenden Wochen zweimal wöchentlich in den Räumlichkeiten der Hochschule statt. Der Unterricht wurde von Teams aus jeweils 3 – 4 Studierenden vorbereitet und durchgeführt, wobei die Projektorganisatorinnen während der Unterrichtszeit auch vor Ort und bei Fragen oder Problemen ansprechbar waren.

Zur Vorbereitung der Arbeit fanden mehrere Vorbereitungsseminare statt, beispielsweise zu Didaktik und interkultureller Kompetenz. Ich muss ehrlich zugeben, dass mir die Workshops im Rückblick auf den Unterricht nicht wirklich geholfen haben. Die Tipps, die gegeben wurden, waren sehr allgemein und damit fast nichtssagend und  konnten, was das Seminar zu interkultureller Kompetenz betraf, zumindest meiner Ansicht nach auch mit dem Satz „Benimm dich einfach nicht wie ein rassistischer, unreflektierter Idiot“ zusammengefasst werden. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich in meinem Studium schon viel sowohl zu Didaktik-Grundlagen als auch zu interkultureller Kompetenz gehört habe. Ich könnte mir vorstellen, dass für die Teilnehmenden, die nicht gerade aus dem Sozialwesen kommen, die Vorbereitungstage doch durchaus lehrreich waren. Und so konnte ich immerhin die anderen Unterrichtenden ein wenig kennenlernen.

Während der Beginn des Projektes immer näher rückte, wuchs meine Vorfreude; meine Nervosität jedoch stieg mindestens doppelt so schnell an. In der letzten halben Stunde vor der ersten Unterrichtseinheit musste ich gefühlt 10 Mal auf die Toilette, konnte mit zittrigen Händen kaum einen Stift halten und war konstant den Tränen nahe. Und, was soll ich sagen: Es war genauso schlimm, wie ich es befürchtet hatte. Nur zwei Teilnehmende kamen in unsere Gruppe, ein Pärchen aus dem Iran. Sie konnten beide kein Englisch. Keine von uns sprach Persisch / Farsi. Auch die Kommunikation mit Händen und Füßen lief nur schleppend. Verständnislose Blicke auf Seiten der Lernenden und Lehrenden. Das Gefühl, sich total blöde anzustellen und verspottet zu werden; in einer Sprache, die man nicht versteht, und Stunden, die sich wie Wochen anfühlten. Als ich nach dem Unterricht zuhause ankam, habe ich erst einmal geweint, und nur mein Pflichtgefühl hielt mich davon ab, einfach aufzugeben.

Am nächsten Tag hatte sich unsere Gruppe um mehrere Frauen aus Afghanistan erweitert. Die jüngeren unter ihnen sprachen sehr gut Englisch und konnten sich auch mit dem Pärchen aus dem Iran unterhalten, da das in Afghanistan gesprochene Persisch / Dan dem Farsi aus dem Iran sehr ähnlich ist. Sie meinten, die beiden hätten ihnen den Unterricht als sehr gut beschrieben, weswegen sich die Gruppe sehr auf die Stunde freue. So viel zum Thema Selbst- und Fremdwahrnehmung! Von diesem Zeitpunkt an lief alles besser. Wir konnten auf Englisch erklären und eine der Afghaninnen übersetzte für alle, die kein Englisch verstanden.

Und die Nervosität? War so gut wie verschwunden. Ich kann es mir selbst nicht genau erklären, doch denke ich, neben der verhältnismäßig kleinen Gruppe und der Tatsache, dass ich nicht komplett alleine war, hatte es vor allem mit der Atmosphäre in der Gruppe zu tun. Man konnte spüren, dass die Teilnehmenden wirklich hier sein und uns zuhören wollten und dass sie auch nicht die Erwartung an uns hatten, ihnen jede Frage beantworten zu können und innerhalb von fünf Wochen perfektes Deutsch beizubringen. Dies ist nur eine (möglicherweise vorurteilsbehaftete) Vermutung, doch ich hatte den Eindruck, dass  für die Geflüchteten neben der Klärung grundlegender Fragen zur Verständigung hauptsächlich das Zusammenkommen an einem anderen Ort als der Massenunterkunft und das Gefühl, etwas Sinnvolles mit ihrer Zeit anzufangen eine große Bedeutung hatte.

Ich vermute, diese eher freizeitliche Atmosphäre war auch ein Grund dafür, dass wir für die Unterrichtsvorbereitung weit weniger Zeit aufbringen mussten, als ich vorher erwartet hatte. Die Hochschule hatte ein Exemplar eines Kursbuches („Erste Schritte plus“ – meiner Meinung nach eine gute Basis für den Unterricht) sowie eines Bildwörterbuches Deutsch, aus denen wir im Hochschulbüro kostenlos Übungsblätter kopieren konnten. Ansonsten arbeiteten wir mit Flipcharts, die wir direkt vor der nächsten Unterrichtseinheit vorbereiten sowie am im Unterrichtsraum vorhandenen SmartBoard. Weil wir in der Regel mehr vorbereitet hatten, als wir in der Unterrichtszeit geschafft haben, hatten wir ab der zweiten Stunde auch immer schon etwas für die folgende Stunde parat, sodass es eigentlich immer gereicht hat, sich eine Stunde vor Unterrichtsbeginn in der Hochschule zu treffen. Die Absprachen darüber, was wir eigentlich machen möchten, liefen über WhatsApp und somit so nebenbei – das kann man kaum als Vorbereitungszeit zählen. In unserem Team hatten wir außerdem die Vereinbarung, dass jede von uns einen Teil des Unterrichts vorbereitet und hält, während die anderen beiden zu dieser Zeit nur als Unterstützung dienen – das kam uns sinnvoller vor, als die Lernenden damit zu überfordern, dass drei Leute gleichzeitig reden und sich schlimmstenfalls unterbrechen.

Zugegeben, manchmal kam es vor, dass keine von uns wusste, wer gerade dran war, und das waren auch die Momente, in denen es Schwierigkeiten gab, da keine von uns spontan in der Lage war, einfach eine Übung aus dem Hut zu zaubern. Während ich einerseits denke, dass man, je mehr Erfahrung man hat, auch besser mit solchen Situationen umgehen kann, wäre es dennoch oft ganz gut gewesen, ein paar „Joker“-Übungen parat zu haben, beispielsweise auch für den Fall, dass eine Aufgabe wider Erwarten doch zu schwer ist oder die Gruppe so gar keine Lust auf das vorbereitete pädagogisch wertvolle Rollenspiel hat…

Die fünf Wochen Unterrichtszeit ging vorbei wie im Flug. Während ich in den darauffolgenden Wochen noch ab und zu ein paar von „meinen“ Flüchtlingen im Bus getroffen habe, habe ich sie nun schon mehrere Monate nicht mehr gesehen und weiß nicht, ob sie überhaupt noch in dieser Stadt sind. Kontaktmöglichkeiten habe ich leider keine. Durch die kurze Dauer des Projektes blieb die Beziehung zwischen uns „Lehrerinnen“ und den Geflüchteten eher oberflächlich und wir erfuhren wenig voneinander, da die Menschen natürlich nicht einfach jedem, den sie treffen, von ihrem Leben erzählen und wir sensibel genug waren, sie nicht neugierig auszufragen. Dies ist wahrscheinlich in einem Unterrichtsprojekt, das über mehrere Monate läuft, anders. Doch selbst in dieser kurzen Zeit konnte ich ein paar wunderbare Menschen ganz verschiedenen Alters, Interessen und Hintergründen kennenlernen. Die Vermittlung der Sprachkenntnisse war – bei der kurzen Dauer logisch – lange nicht umfassend, aber diesen Anspruch hatten weder wir noch die Geflüchteten an das Projekt. Es war vielmehr eine Begegnung, ein Aufeinanderzugehen, das Übermitteln der Botschaft: „Ich heiße dich in dieser Stadt willkommen und will dich dabei unterstützen, dich hier zurechtzufinden.“

Schon vor der Teilnahme am Projekt hatte ich vor, nach meinem Studienabschluss der Sozialen Arbeit in die Arbeit mit Flüchtlingen zu gehen. Doch einerseits zweifelte ich an mir selbst, da ich sehr sensibel bin und es mir schwerfällt, professionell distanziert zu bleiben, andererseits weiß ich, dass mein Herz dafür schlägt, Flüchtlinge hier in Deutschland zu unterstützen. Das Projekt hat mir gedanklich einen neuen Weg eröffnet: Ich habe mich für ein Zweitstudium der Germanistik beworben, um danach einen Master in Deutsch als Fremdsprache zu machen. Das Beherrschen der Sprache des Landes, in dem man sich aufhält ist so wichtig, um sich zurechtzufinden und für sich selbst und seine Rechte einzustehen. Für mich ist Sprachunterricht daher ein wichtiger Teil der Unterstützung für Flüchtlinge.

Deshalb würde ich allen sagen, die sich engagieren wollen, sich aber nicht so recht trauen: Überwindet euch. Sucht euch möglicherweise auch ein Kurzzeitprojekt, wenn ihr Angst habt, euch längerfristig zu „verpflichten“ und probiert es einfach aus. Deutschunterricht für Flüchtlinge ist so wichtig, und auch ihr werdet viele Erfahrungen machen, euch austesten und möglicherweise neue Talente entdecken. Es lohnt sich! Für euch, und für die Flüchtlinge sowieso.

 Herzlichen Dank an Cora für ihren umfangreichen Erfahrungsbericht und die Reflexion.