Mein Deutschland: Interview mit Amelie Kim Weinert

Mein Deutschland  ist weder ein Kursbuch zum Deutschlernen, noch nur ein Nachschlagewerk für deutsche Landeskunde. Vielmehr regt der Ordner zum Entdecken und Kennenlernen an: neue Umgebung, neue Menschen, neue Schrift, neue Heimat.

Die Designstudentin Amelie Kim Weinert hat den Ordner als Abschlussarbeit entwickelt. Zwei Menschen, Ehrenamtliche und Geflüchtete, sollen damit kapitelweise sich und ihr Deutschland besser kennenlernen. Zahlreiche Verlage zeigten Interesse an der Idee. Mittlerweile ist Mein Deutschland im Langenscheidt-Verlag erschienen.

Ich habe Amelie in einem Stuttgarter Café getroffen und mich mit ihr über Mein Deutschland unterhalten. Um einen ersten Eindruck zu gewinnen, könnt ihr euch das folgende Video anschauen. Unten findet ihr das Interview. Wenn ihr nur kurze und knackige Infos haben wollt, scrollt zum Ende der Seite. Da findet ihr alle wichtigen Infos und weiterführende Links.

Das Interview in voller Länge:


fuericon2Liebe Amelie, du hattest vorhin schon erwähnt, dass du kritische Fragen bekommen hast alá „Du hast ja gar nicht Deutsch als Fremdsprache studiert, wie konntest du das dann entwickeln?“

Magst du mir kurz erzählen, wie du beim Entwickeln von Mein Deutschland vorgegangen bist? Nicht nur in Bezug auf das Design, sondern auch den Inhalt.

Amelie Kim Weinert: Also, ich muss sagen, ich bin mit einem Sozialpädagogen als Vater und einer Sonderpädagogin als Mutter aufgewachsen. Sie unterrichtet und ich bin von klein auf damit großgeworden und hab mich auch schon immer dafür interessiert. Ich habe auch bei der Lebenshilfe eine Zeit lang gearbeitet. Ich bin also nicht ganz fremd in dem Bereich. Aber ich habe es nicht studiert und bin da natürlich kein Experte, deshalb hatte ich kompetente Personen an meiner Seite, die mir ein bisschen geholfen und mir ein paar Tipps gegeben haben. Ich hatte auch einen ganzen Stapel an bisherigen Büchern, wo ich ein bisschen geschaut habe, was es schon Gutes gibt, oder auch was ich schlecht finde und besser machen möchte.

Der Ordner ist im Februar 2016 erschienen. Wann hast du denn mit der Arbeit angefangen? Angefangen habe ich ungefähr ein Jahr davor. Das war im Frühjahr 2015, fertig war der Ordner dann im Juli, da war dann mein Abschluss. Und dann ging es eigentlich ziemlich schnell.


Einblicke in Amelies Skizzenbuch:


 

Wusstest du von Anfang an, dass du dein Ergebnis einem Verlag anbieten möchtest, also dass du möchtest, dass er erscheint? 

Überhaupt nicht. Also es war ja für mich auch so ein Experiment. Ich wusste nicht, ob es klappt, ob ich es hinkriege und es wirklich funktioniert. Das war mir am Anfang nicht so klar. Ich habe es einfach probiert und mich reingearbeitet und irgendwann war ich auch so in der Arbeit drin, da habe ich mir überhaupt keine Gedanken mehr gemacht, was damit am Ende passieren soll – es war einfach meine Abschlussarbeit.  Und joa, als es dann am Ende verlegt wurde, war das schon abgefahren. (Amelie lacht)

Wenn du jetzt in einen Buchladen gehst und dein Ordner da steht – wie fühlt sich das an? Das ist total cool! Ich krieg auch manchmal Fotos, wenn Freunde von mir in irgendwelchen Städten sind und in der Buchhandlung meinen Order sehen. Ich bin auch selber immer ganz glücklich und aufgeregt wenn ich irgendwo reinkomme und er liegt da.  Das ist ein total cooles Gefühl!

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Das kann ich mir vorstellen!
Wie hat sich das denn entwickelt? Ich hatte gelesen, dass sich mehrere Verlage bei dir gemeldet haben und ihr Interesse gezeigt haben, dass du aber auf jeden Fall wolltest, dass zum Beispiel die Sticker mit drin sind und dass es nicht einfach nur ein Buch wird, sondern ein Ordner bleibt. Kannst du mir erzählen, wie die Suche nach dem Verlag ablief und wie es dazu kam, dass der Ordner letztendlich bei Langenscheidt rauskam?

Also, die Arbeit war fertig und wurde bei der Werkschau der Hochschule gezeigt. Da war dann die Presse da und es gab schon ziemliches Interesse an dem Ordner. Und dann gingen so die ersten Überlegungen los, auch von Seiten der Hochschule: „Willst du den vielleicht verlegen? Sollen wir mal jemanden anschreiben?“ Parallel kamen dann tatsächlich schon Anfragen von Verlagen, die das schon durch die Presse mitbekommen hatten.

Ich war dann in Deutschland unterwegs und habe verschiedene Gespräche bei unterschiedlichen Verlagen geführt. Da war wirklich alles dabei: Manche wollten ein ganz dünnes Heft draus machen, ganz viel kürzen und es super günstig verkaufen. Bei anderen wäre der Ordner unglaublich teuer geworden.

Was bei Langenscheidt einfach cool war: die haben sofort verstanden, um was es mir geht, was das Konzept ist und sie haben gar nicht versucht, da was rauszulassen oder ein Buch draus zu machen. Ihnen war es auch logisch, dass es ein Ordner sein muss. Als Buch funktioniert es einfach nicht.

Wie lange hat es dann gedauert, bis er im Laden stand? Das dauert wahrscheinlich eine ganze Weile? 

Ja, also für mich war es eine Ewigkeit! Ich war total nervös und dachte, warum geht das nicht schneller? Aber an so einer Veröffentlichung hängt halt eine Menge. Da geht es dann um Bildrechte, Produktion, Kalkulation, Verlagsvorschauen… Das ist einfach so viel, was da noch dazu gehört, was man sich so gar nicht vorstellen kann. Also laut Verlag ging es für so ein umfangreiches Produkt ziemlich schnell, aber für mich war es gefühlt eine Ewigkeit.

Wie war es denn inhaltlich? Hat man da noch versucht, dir reinzureden, oder konnte der Ordner so umgesetzt werden, wie du ihn dir gedacht hattest?

Mir wurde kaum reingeredet. Ich bin natürlich nochmal durchgegangen, weil es – wie immer bei einer Abschlussarbeit – am Ende Zeitdruck gab. Ich habe also nochmal drübergelesen und ein paar Sätze geändert. Der Verlag hat auch ein paar Anmerkungen gemacht, aber das waren nur Kleinigkeiten, die ich angepasst habe. Es ist insgesamt jetzt ein stimmiges Projekt geworden.

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Welches Feedback hast du von Anwendern bekommen?

Bisher war es wirklich durchweg positiv! Es freut mich total, dass es wirklich jetzt so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe. Und dass auch einfach noch nicht so erfahrene Menschen etwas an der Hand haben, womit sie arbeiten können und das nicht so kompliziert ist.

Ich habe von ganz unterschiedlichen Menschen gehört:  von Flüchtlingspaten, aber auch in Schulen und Volkshochschulen wird der Ordner angewandt. Aber nicht nur ehrenamtliche Flüchtlingspaten, sondern auch Menschen, die unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMFs) aufnehmen, und immer ein Problem damit hatten, sie kennenzulernen und etwas von ihnen zu erfahren, nutzen ihn. Also bisher war das Feedback sehr positiv.

Was sagst du denn zu der Kritik, dass der Ordner sehr teuer sei, und dass es den Flüchtlingen doch viel mehr helfen könne, wenn du die Materialien kostenlos ins Netz stellst?

Also das sind zwei Sachen: Zum einen, das Online stellen. Davon halte ich recht wenig. Es kommt immer wieder die Frage, ob man das nicht als App herausbringen könnte. Was mir ganz wichtig ist, ist dass zwei Menschen zusammenkommen Dass ein „Deutscher“ oder einer der Mehrheitsgesellschaft mit einem Geflüchteten zusammensitzt, die sich kennenlernen, sich austauschen. Derjenige, der der deutschen Sprache mächtig ist, auch ein paar Tipps gibt und bei der Aussprache unterstützt. Und natürlich ein ganz wichtiger Punkt: Auch das Schreiben lernen. Wie soll das mit einer App funktionieren?

Für Menschen, die noch nicht schreiben können und die vielleicht den Umgang mit dem Stift nicht gewohnt sind, ist es sehr wichtig, dass sie Papier und Stift haben und das nicht über eine App lernen.

Zum Preis: Klar, es wäre bestimmt günstiger gewesen, wenn es ein Buch wäre. Bei dem Ordner hat man aber den Vorteil, dass man es ergänzen kann. Also die Menschen, die hier ankommen, haben so unterschiedliche Stärken und Schwächen. Wenn jetzt jemand vielleicht bei der Schrift noch gern weitermachen möchte, kann man es mit eigenem Material ergänzen. Man kann es persönlicher machen. Man kann noch einen Stadtplan einheften…

Das Landratsamt erstattet oft die Kosten für Materialien, aber auch Helfer- und Freundeskreise bekommen ja Spenden. Im besten Fall müssen also weder die Flüchtlinge noch die Helfer dafür zahlen.

Du hast ja eben schon über die Menschen geredet, die gar nicht schreiben können. Das ist ja die Zielgruppe deines Ordners, richtig? Können denn auch Leute, die schon schreiben können, mit Mein Deutschland arbeiten?

Auf jeden Fall. Man muss da ein bisschen bedenken: Wenn es Menschen sind, die schon studiert haben, eine super Bildung genossen haben und vielleicht schon eine Fremdsprache können, ist der Ordner wahrscheinlich ein bisschen zu niedrig angesetzt. Es ist wirklich für Analphabeten konzipiert. Menschen, die das Alphabet schon kennen, können das Kapitel Schrift ausklammern.

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Du hast ja eben schon gesagt, dass man den Ordner mit eigenen Materialien ergänzen kann. Mir ist aufgefallen, dass manche Buchstaben und auch Bundesländer vorgestellt werden, aber eben nicht alle. Könntest du dir vorstellen, eine Art „Ergänzungsset“ herauszubringen, so dass man zu den anderen Buchstaben oder Bundesländern noch Materialien dazuheften kann?

Also, konkret geplant ist sowas noch nicht.  Es war aber schon gedacht, dass es vielleicht noch weitere Kapitel gibt und darauf aufbaut. Da gibt es aber noch nichts Konkretes. Ich warte gerade noch ein bisschen das Feedback ab und ob es noch Wünsche gibt.

Es stimmt, dass nicht alle Bundesländer abgedeckt sind. Das würde ich aber auch in die weiteren Kapitel gar nicht reinbringen. Es geht mir in erster Linie darum, einen Einblick ins Land zu kommen. Da muss nicht jede Stadt erwähnt werden, oder was man in jedem Bundesland gerne isst.

Wenn man sich ein bisschen in die Menschen hineinversetzt: die kommen hier an, haben oft fast gar keine Ahnung von Land und Leuten. Sie wissen, sie sind hier auf jeden Fall sicher, und das ist auch das Allerwichtigste. Aber wenn man ein bisschen weiter denkt, ist es natürlich interessant: Wie sieht das Land aus? Im Norden ist das Meer, im Süden grenzt es an andere Länder… Einfach ein bisschen Landeskunde. Da finde ich es gar nicht wichtig, dass man jedes einzelne Bundesland thematisiert. Das kann man ja dann auch ergänzen, wenn man möchte. Es geht um einen Eindruck von Deutschland.

Es sind ja für die Ehrenamtlichen, bzw. für den deutschen Teil des Duos, Erklärungen in den Ordner, wie man eine Übung machen soll. Teilweise finde ich sie recht knapp. Ohne Deutschkenntnisse und mit Gestik und Mimik Aufgaben zu erklären, fällt ja einigen Ehrenamtlichen bestimmt nicht so leicht. Hast du dazu schon Feedback bekommen?

Das Feedback dazu ist eigentlich auch gut – wobei man sagen muss, dass es noch nicht soo viel Feedback gibt, da der Ordner ja erst im Februar herausgekommen ist. Es gibt ja dieses Begleitheft für den Ehrenamtlichen und da stehen auch schon einige Tipps drin. Es ist eben wichtig, dass es kein allzu langer Text ist. Der Ehrenamtliche soll nicht erst eine DIN A4-Seite lesen, bevor die Aufgabe anfängt. Das Ganze soll beiläufig und schnell gehen, damit der Geflüchtete nicht in eine doofe oder langweilige Situation kommt. Deshalb habe ich die wichtigsten Punkte knapp hingeschrieben und einige didaktische Tipps, die man nicht bei jedem voraussetzen kann. Ich denke, das funktioniert so schon ganz gut.

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Hast du denn vor, in Zukunft weiterhin in der DaF-Richtung zu arbeiten, also zum Beispiel ein Lehrwerk zu gestalten?

Ich bin generell nicht abgeneigt. Von meinem Herzen bin ich noch immer voll und ganz Designerin und das werde ich auch nie ablegen können.

Aber ich finde es schön, wenn man mit der Arbeit, also mit dem Design, nicht nur Werbung oder so etwas gestaltet, sondern etwas, das Menschen hilft und sinnvoll ist. Sei es nun die Kommunikation oder etwas anderes. Also ich bin da nicht abgeneigt und kann mir vorstellen, dass da noch etwas in der Richtung passiert.

Du bist ja schon als Expertin zu Vorträgen usw. eingeladen worden. Wie fühlt sich das an? Du bist ja noch relativ jung, wenn ich das mal so sagen darf.

(Amelie lacht.) Ja, also es freut mich, dass ich eingeladen werde und dass Menschen Wert auf meine Meinung legen. Es ist natürlich ein tolles Gefühl. Klar bin ich auch nervös, wenn ich vor einem Raum voller Lehrer spreche, die das studiert haben. Wie fällt das Feedback aus? Sind die meiner Meinung? Können sie es akzeptieren, dass ich eine andere Meinung habe als man im Studium lernt? Ich kritisiere das ja auch ein bisschen. Aber bisher waren es gute Erfahrungen und es freut mich.

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Du hast gerade gesagt, dass du auch etwas kritisierst – kannst du darauf nochmal eingehen?

Ja, ich kritisiere ja ein bisschen dieses gewohnt schulisch-deutsche Lernen oder Lehren.

Das Schüler-Lehrer-Konstrukt kritisiere ich nicht im Generellen. Aber wenn es um Menschen geht, die hier ankommen und nie auf einer Schule waren, und zum Beispiel nicht wissen, wie man mit einem Buch umgeht und was Kapitel sind – das sind einfach Dinge, die für uns so selbstverständlich geworden sind, dass wir und auch die Lehrer erstmal einen Schritt zurückgehen und uns in den Flüchtling hineinversetzen müssen: Wie fühlt er, wie denkt er?

Daher haben die Kurse oft einen falschen Ansatz. Ich war ja selbst bei einem Alphabetisierungskurs dabei und habe mir das angeschaut. Für die, die schon schreiben und lesen können, funktioniert die Adaption auf eine neue Sprache gut. Aber die anderen? Sie sitzen drei Stunden am Tisch, vorne steht ein Lehrer, der womöglich jünger ist als man selbst. Sie bringen ihre ganze Geschichte mit, psychisches Leiden und sind überfordert – dann lernen sie seitenweise das Alphabet und es bringt ihnen am Ende doch nichts, weil sie nicht selber einkaufen oder zum Arzt gehen können.

Ich finde, Motivation ist das große Stichwort und dann ist es auch grad mal nicht so wichtig, ob man jetzt zu jedem Wort den richtigen Artikel kann.

Motivation ist ein gutes Stichwort. Was würdest du denn sagen, ausgehend von deinen Erfahrungen und deinen Recherchen, ist eine gute Methode, um die Motivation der Lernenden zu fördern und zu halten?

Erfolgserlebnisse sind total motivierend. Das ist ja bei uns auch so. Wenn ich irgendwas gut kann und es klappt immer besser, dann macht es Spaß, ich bin motiviert und möchte weitermachen.

Wenn man sieht, dass gerade dieses Schreiben nicht so schwer ist, wie viele es sich vorstellen… Im Ordner fange ich ja mit dem M und dem A an. Wenn man die zusammensetzt, entsteht direkt das erste Wort, Mama. Das kennt auch irgendwie jeder, egal aus welchem Land. Das motiviert dann, und nimmt auch die Hemmungen und die Angst.

Es ist mir auch wichtig, dass der Ordner Spaß macht; dass es kein trister, textlastiger schwarz-weiß-Ordner ist (oder Buch), sondern dass es irgendwie Bilder hat und lebendig ist. Spaß und Erfolgserlebnisse sind die großen Indikatoren für Motivation.

Es gibt ja viele Lehrwerke, auch für die Alphabetisierung, die sehr bunt und irgendwie kindisch gestaltet sind. Ich habe mich neulich mit einem anderen Deutschlehrer unterhalten und er ist der Meinung, dass diese bunten Lehrwerke den Lernenden ein schlechtes Gefühl geben, wenn sie sich wie Kinder behandelt fühlen. Hat sowas auch bei deinem Design für Mein Deutschland eine Rolle gespielt?

Ja, absolut! Ich finde es auch total schwierig. Was man da manchmal lernt: A wie Affe, B wie Banane… Das sind alltagsfremde Dinge und auch so kindlich gestaltet.  Natürlich, Kinder kommen auch her, aber diese spezielle Gruppe sind keine Kinder, sondern erwachsene Menschen. Sie können zwar nicht lesen und nicht schreiben, aber manche können ein Haus bauen oder haben andere Qualifikationen und man darf sie nicht in die Rolle von einem Kind stecken. Und natürlich, wenn das zu kindlich gestaltet ist, dann wirkt es lächerlich, dann fühlen sich die Menschen nicht ernst genommen und das ist wirklich schwierig. Deshalb war mir eine erwachsenengerechte Gestaltung sehr wichtig. Der Ordner sollte farbig sein und Spaß machen, aber nicht zu bunt und kindlich sein – für Erwachsene eben.

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Mir ist aufgefallen, dass dir dieser Perspektivenwechsel sehr leicht fällt. Für manche Leute scheint es nicht so leicht zu begreifen, dass es Menschen gibt, die nicht wissen wie man einen Stift hält. Man muss ihnen klarmachen, dass das nicht selbstverständlich ist, sondern wir das mit sechs oder sieben Jahren in der Grundschule gelernt und geübt haben und seitdem jeden Tag machen. Für uns ist das so normal wie das tägliche Zähneputzen, doch für andere ist es gar nicht normal. Wie ist das bei dir in Bezug auf diesen Perspektivenwechsel?

Ich weiß nicht, ob Empathie angeboren ist oder ob man da irgendwie reinwächst (lacht). Ich glaube, das war bei mir – soweit ich mich erinnern kann – schon immer so, dass ich versucht habe, mich in mein Gegenüber hineinzuversetzen. Ich habe ja auch bei der Lebenshilfe gearbeitet, mit Menschen mit Behinderungen. Da ist es natürlich auch ganz wichtig, dass man nicht so arg von sich selbst ausgeht, sondern dass man versucht, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen. Klar, das wächst mit neuen Erfahrungen immer weiter und die Flüchtlingsfamilie hat mir da auch viel beigebracht, durch sie habe ich viel gelernt. Zum Beispiel das mit dem Stift, oder auch wie es ist, Zahlen nicht zu können. Also einkaufen gehen zu können, ohne die Preisschilder lesen zu können… Dass man einfach einkauft und irgendwas hinlegt, ohne dass man weiß was das kostet – das muss man sich erstmal vorstellen! Klar, durch die Familie habe ich viele Erkenntnisse gewonnen.

Was würdest du denn Ehrenamtlichen raten, die das vielleicht noch nicht gemacht haben und sich jetzt entschlossen haben, dass sie eine Familie betreuen wollen und da jetzt ohne Vorkenntnisse rangehen?  

Gar nicht so voreingenommen zu sein! Ich würde ihnen raten, einfach auszuprobieren, nicht zu viel zu erwarten und offen zu sein. Ich finde es auch immer wichtig, dass man nicht zu schulisch rangeht, sondern dass man ein bisschen sein Gegenüber kennenlernt und auch von sich selber erzählt. Es ist für die Menschen natürlich auch interessant, wie wir hier leben.

Ich glaube, man darf gar nicht zu verkopft an die Sache rangehen. Einfach drauf einlassen, ausprobieren, kreativ sein und frei denken. Man muss sich nicht unbedingt an die Literatur oder irgendwelches Lehrmaterial halten. Das wären so meine Tipps.

Vielen Dank für das Interview, Amelie!


 

Alle Infos zu Mein Deutschland auf einen Blick:

  • Mein Deutschland
  • Autorin: Amelie Kim Weinert
  • ISBN: 978-3-468-49090-3, Langenscheidt
  • Zielgruppe: Nicht alphabetisierte Flüchtlinge und Ehrenamtliche
  • 206 Seiten (Ordner mit Einlagen und Begleitheft)
  • Zusätzlich werden für die Arbeit mit dem Order Stifte und ein Würfel benötigt. Falls man Fotos o.ä. einkleben möchte, auch Bastelutensilien.
  • 19,99€, erhältlich im Langenscheidt-Shop, bei Amazon und anderen Buchhändlern

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