Frage & Antwort, Teil 6: Motivation erkennen und fördern

 

Hallo Kato,

[…] dem Ratgeber für ehrenamtliche Helfer von Frau Lourdes Ros konnte ich fast Nichts für meine praktische Situationen entnehmen. Ich muss immer wieder völlig von vorne beginnen. Mal kommen 12, dann wieder nur einer. Dann mal drei. […]

Wie startet man quasi ohne jede Kommunikation, wenn zudem keine Motivation erkennbar ist, die deutsche Sprache zu erlernen? Das Lernen zu lehren fällt mir sehr schwer. […]

Beste Grüße und vielen Dank für Ihre Seite,

Jürgen B.

 

Lieber Herr B.,

Sie sprechen ein sehr interessantes und sehr wichtiges Thema an. Motivation ist für den Lernprozess sehr wichtig; und gleichzeitig ist es für Ehrenamtliche sehr frustrierend, sich zu fragen „warum nehmen sie unsere Angebote nicht an? Warum sind sie so demotiviert?“.

Ich möchte Ihnen im Folgenden ein paar Gedankenanstöße aus meiner Erfahrung mitgeben, auch wenn es für Ihre Situation wohl keine einfache „Lösung“ gibt.

(Übrigens, ein passendes Lehrwerk für die Arbeit mit Gruppen mit hoher Fluktuation ist Erste Hilfe Deutsch vom Hueber Verlag)

Verschiedene Arten von Motivation

Es gibt nicht nur „hohe“ oder „niedrige“ Motivation, sondern viele verschiedene Beweggründe, warum man Deutsch lernen möchte. Ich persönlich konnte diese vier Typen häufig beobachten, von „stark ausgeprägter Motivation“ sortiert zur kaum vorhandenen Motivation:

graduelleMotivation

  • Schnell und gut Deutsch fürs Studium lernen
  • Alltag allein bewältigen können
  • Zeitvertreib/ Langeweile bekämpfen
  • Gruppenzwang

(Kein Anspruch auf Vollständigkeit)

Schnell und gut Deutsch fürs Studium lernen

Vor allem diejenigen Geflüchteten mit guter Bleibeperspektive und konkreten Plänen für die Zukunft sind hoch motiviert und wollen schnell und gut Deutsch zu lernen. Sie wissen, dass sie Deutsch auf Niveau B2 oder C1 des GER brauchen, um hier ihr Studium fortführen zu können, ein Masterstudium zu beginnen oder eine Ausbildung zu machen. Es handelt sich oft um Akademiker, die schon Englisch und/oder Französisch gelernt haben und denen das Lernen einer weiteren Sprache mit dem lateinischen Alphabet nicht so schwer fällt wie Analphabeten oder Zweitschriftlernern.

Meiner Erfahrung nach ist diese Gruppe generell sehr dankbar für jegliche Lernangebote; es gibt aber auch „Nörgler“, die oft ihre eigenen Kenntnisse (fälschlicherweise) sehr hoch einschätzen und denen es im Kurs nicht schnell genug geht. In diesem Fall kann eine gute Sache (hohe Motivation) sogar schaden (die Kursatmosphäre verschlechtern).

Alltag bewältigen

Eine weitere große Gruppe an Geflüchteten ist motiviert, da sie ihren Alltag unabhängig von SozialarbeiterInnen oder Ehrenamtlichen bestreiten möchten. Für sie stehen Themen des Alltags im Vordergrund – zum Beispiel wie man dem Arzt mitteilen kann, wo man Schmerzen hat. Zu viel Grammatik schreckt diese Gruppe womöglich ab, da sie nicht auf eine Prüfung oder ein Sprachdiplom hin lernt.

Zeitvertreib/ Langeweile bekämpfen

Nicht für jeden, der zu einem (ehrenamtlichen) Sprachkurs oder Sprachcafé geht, steht die zu erlernende Sprache im Mittelpunkt -vielmehr sehen einige einen Sprachkurs als willkommene Abwechslung von der Monotonie in der Unterkunft.

Menschen, die einen Sprachkurs eher als Unterhaltung sehen, werden sich nicht nach dem Kurs in eine ruhige Ecke setzen und Hausaufgaben machen. Sie werden auch die Lust verlieren, wenn es im Kurs zu sehr um „langweilige“ Themen (Grammatik) geht oder sie sich über- oder unterfordert fühlen.

Der Kurs macht ihnen Spaß, wenn viel gesprochen, kreativ gearbeitet und spielerisch geübt wird.

Gruppenzwang

Zu guter Letzt gibt es noch KursteilnehmerInnen, die nur zum Kurs kommen „weil die Freunde halt hingehen“. Wer selber eigentlich gar keine Lust hat, macht natürlich nicht richtig mit. Im schlimmsten Fall bremsen sie sogar den Rest der Gruppe.

Natürlich kann es noch andere Arten der Motivation geben – diese vier sind die Hauptgruppen, die ich beobachten konnte. Ich freue mich über Ergänzungen per Kommentar oder Mail.

woerterbuch_deutsch

Extrinsische und intrinsische Motivation

Das Konzept der ex- und intrinsischen Motivation ist vielen Leserinnen und Lesern wahrscheinlich schon bekannt, ich möchte es aber dennoch an dieser Stelle noch einmal aufgreifen:

Der Begriff intrinsische Motivation bezeichnet das Bestreben, etwas um seiner selbst willen zu tun (weil es einfach Spaß macht, Interessen befriedigt oder eine Herausforderung darstellt). Bei der extrinsischen Motivation steht dagegen der Wunsch im Vordergrund, bestimmte Leistungen zu erbringen, weil man sich davon einen Vorteil (Belohnung) verspricht oder Nachteile (Bestrafung) vermeiden möchte.

  1. G. Myers: Psychology. New York 2004, S. 330 f. via Wikipedia

Denkt man an Schulkinder, die Mathe, Französisch oder Geschichte lernen müssen, so gibt es bestimmt einige Kinder, die sich für diese Fächer interessieren und aus intrinsischer Motivation heraus dafür lernen. Bei allen anderen greift die extrinsische Motivation, da sie eine Bestrafung fürchten (schlechte Note; Tadel durch die Lehrkraft; im schlimmsten Fall das Nichtbestehen einer Klassenstufe) oder auf eine Belohnung hinarbeiten (Lob; Geld oder ein Geschenk für ein gutes Zeugnis; eine gute Abiturnote fürs Wunschstudium).

Geflüchtete hingegen haben in der Regel niemanden, der durch Lob oder Bestrafung ihre extrinsische Motivation vorantreibt. Klar, die Lehrkräfte können sie natürlich für ihre Fortschritte loben, aber wenn man noch kein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, bedeutet einem dieses Lob womöglich nicht so viel. Und im Gegensatz zu institutionellen Kursen (z.B. Integrationskursen) erwartet sie auch keine Sanktion, wenn sie dem Unterricht der Ehrenamtlichen fernbleiben oder nicht mitarbeiten.

 

Individuelle Faktoren, die das Lernen behindern können

Mangelnde Motivation ist natürlich nicht der einzige Grund, warum die Kursteilnehmerinnen und –teilnehmer eventuell nicht so gut mitmachen oder nur unregelmäßig zum Unterricht kommen:

  • Trauma durch die Flucht und damit verbundene Konzentrations- und Lernschwierigkeiten
  • unbehandelte physische oder psychische Probleme
  • fühlt sich nicht wohl in der Lerngruppe und/oder mit der Lehrkraft
  • keine Zeit, z.B. durch fehlende Kinderbetreuung oder schlechte Absprache mit den SozialarbeiterInnen (andere Angebote zur selben Zeit)

So manch einem/einer wird womöglich „mangelnde Motivation“ attestiert, obwohl die Ursache woanders liegt und behoben werden könnte.

 

Motivation fördern

Ich halte es für sehr sinnvoll, mehrere Gruppen zu bilden und zu differenzieren: anspruchsvollen Unterricht für die schnellen LernerInnen; spielerische kleine Sitzungen für diejenigen, die den „Unterhaltungsfaktor“ beim Lernen brauchen.

Darüber hinaus gibt es einige Methoden, um die Motivation zu fördern:

  • Kleine Erfolge feiern und viel loben
  • Nicht überfordern
  • Bei den nicht so stark motivierten keine Hausaufgaben aufgeben (siehe Artikel „Hausaufgaben – auch in freiwilligen Deutschkursen?“)
  • Alltagsbezug immer wieder herstellen: z.B. authentische Busfahrpläne oder Supermarktprospekte in den Unterricht miteinbeziehen
  • Positive Atmosphäre in der Lerngruppe herstellen: Regeln aufstellen (zum Beispiel: einander aussprechen lassen, nicht auslachen) und durchsetzen, damit alle sich wohlfühlen können
  • Ängste vermeiden, zum Beispiel Angst vor Prüfungen und Angst vor Blamagen: Positive Klassenatmosphäre, wenig Druck
  • Deutsche Kontakte vermitteln: Auf Sprachcafés und Co hinweisen oder diese selbst organisieren, damit sie ihre neuen Deutschkenntnisse direkt anwenden können und nicht nur mit den anderen Geflüchteten in ihrer Muttersprache oder auf Englisch kommunizieren
  • Muttersprache wertschätzen: Vergleiche bilden; für Mehrsprachigkeit loben
  • Lernziele formulieren: Nicht jeder hat das gleiche Ziel! Nicht jeder muss Deutsch auf C2-Niveau beherrschen und alles rauf- und runterkonjugieren und -deklinieren können!

 

Lernen lernen

Ich unterscheide zwischen lerngewohnten und lernungewohnten Flüchtlingen. Letztere haben gar nicht oder nur unregelmäßig eine Schule besucht und/oder nur Frontalunterricht „genossen“. Diese Menschen haben das selbstständige Lernen nicht gelernt.

Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man Erasmus-Studierende oder Geflüchtete ohne viel Schulerfahrung unterrichtet – selbst wenn diese im gleichen Alter sind. Dinge, die für uns selbstverständlich sind, weil wir sie seit der ersten Klasse beigebracht bekommen haben, können anderen große Schwierigkeiten bereiten, zum Beispiel:

  • Stift halten und ermüdungsfrei schreiben
  • Operatoren verstehen (Kreuze an! Ordne zu! Fülle aus!)
  • Tafelbilder übersichtlich abschreiben

Das hat übrigens nichts mit der Intelligenz eines Menschen zu tun, sondern ist eine Übungssache.

Ich empfehle daher, Lerntechniken wie zum Beispiel Mindmaps oder das Lernen mit Karteikarten zu thematisieren und im Unterricht mit allen gemeinsam zu machen. Im Idealfall merken die KursteilnehmerInnen dann, was für sie gut funktioniert und können es auch alleine anwenden.

karteikarten

Tipps für ehrenamtliche Lehrerinnen und Lehrer

1. Bitte nehmt es nicht persönlich, wenn ein Angebot nicht angenommen wird.

2. Kommuniziert den KursteilnehmerInnen ruhig deutlich, dass ihr und eure KollegInnen das ehrenamtlich machen. Meiner Erfahrung nach ist es den BewohnerInnen einer Unterkunft oft nicht bewusst, wer ehrenamtlich da ist und wer nicht. . Sie denken, dass jeder, der zu ihnen in die Unterkunft kommt (z.B. Sozialbetreuer, Ärzte, Hausmeister, …) das tut, weil es sein Job ist und ein dafür bezahlt wird. Wenn ihr verdeutlicht, dass ihr grad eure Freizeit hier verbringt, werden sie eine andere Einstellung zu euren Angeboten bekommen und diese bestimmt mehr wertschätzen.

3. Macht euch selber klar, dass ihr keine Profis seid. Ihr seid keine ausgebildeten DeutschlehrerInnen, PsychologInnen, SozialarbeiterInnen und JuristInnen. Ihr könnt Angebote machen, aber ihr könnt nicht alles leisten und jedem helfen. Bei einem positiven Asylantrag haben die Flüchtlinge ja außerdem sowieso den Anspruch auf einen Platz im Integrationskurs. Von daher ist es nicht schlimm, wenn ihr im Unterricht keine großen Fortschritte macht.


 

Ich hoffe, dass Ihnen diese Anstöße helfen und sich die Situation bei Ihnen vor Ort bessert. Weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit!

Viele Grüße, Kato

In der Reihe Frage & Antwort veröffentliche ich Antworten auf die Fragen, die mich per Mail oder Kommentar erreichen, und auch für andere LeserInnen interessant sein könnten. Wenn du auch eine Frage hast, schreib mir