Der Begriff „Sozialform“ mag zunächst einmal abstrakt klingen; dennoch können wir uns schnell etwas darunter vorstellen, wenn wir an verschiedene Situationen denken: Ein Vortrag, bei der eine Person vor allen anderen spricht. Ein Erste-Hilfe-Kurs, bei der jeder die Reanimation an der Puppe üben muss. Ein Spanisch-Kurs an der Volkshochschule, bei dem die Teilnehmenden sich gegenseitig Wörter abfragen.
Welche Sozialformen gibt es?
Wir haben nun bereits drei Beispiele gesehen. Generell kann man vier verschiedene Sozialformen unterscheiden:
Einzelarbeit | Die KursteilnehmerInnen arbeiten still, alleine und selbstständig. | |
Partnerarbeit | Die KursteilnehmerInnen arbeiten zu zweit, zum Beispiel mit dem Sitznachbar. | |
Gruppenarbeit | Die KursteilnehmerInnen arbeiten in Gruppen zusammen. | |
Frontalunterricht/ Plenum | Die Lehrperson spricht, die TeilnehmerInnen hören zu. Es gibt Unterarten, zum Beispiel durch das Stellen von Fragen an die Zuhörenden (=mehr Interaktion). |
In manchen Büchern werden Frontalunterricht und Plenum (auch Klassengespräch) separat aufgeführt. Unter Frontalunterricht versteht man dabei, dass ausschließlich der Lehrer spricht. Im Plenum/Klassengespräch sind grundsätzlich alle in der Hörer- aber auch Sprecherposition (z.B. Frage, Diskussion). Ich bleibe in diesem Artikel bei der Einteilung in vier Typen.
Vor- und Nachteile der Sozialformen
Welche Sozialform ist am besten? Natürlich kann man da mal wieder keine eindeutige Antwort geben, denn alle Sozialformen haben sowohl Vor- als auch Nachteile:
Vorteile | Nachteile | |
Einzelarbeit | – Ruhe im Klassenzimmer
– die Lernenden können ihre bevorzugte Lernmethode und ihr Tempo selbst bestimmen |
– stärkere Lernende sind schneller fertig als die Schwachen -> Binnendifferenzierung nötig
– bei großen Gruppen kann die Lehrkraft nicht auf alle achten |
Partnerarbeit | – gut für introvertierte KursteilnehmerInnen
– hoher Sprechanteil – bei Problemen mit der Aufgabe haben die KursteilnehmerInnen direkt jemanden zum Austausch
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– es wird schnell laut
– es besteht die Gefahr, auf die Muttersprache oder eine Mittlersprache (Englisch, Französisch) zu switchen, statt untereinander Deutsch zu sprechen – manchmal können zwei Menschen wegen unterschiedlicher Lernstile nicht so gut miteinander arbeiten |
Gruppenarbeit | – eignet sich gut für kreative Aufgaben (z.B. ein Poster gestalten)
– Aufgaben können selbstständig verteilt werden – Teamwork wird geübt – macht meistens Spaß ;) |
– schwächere Lernende können sich gut in der Gruppe „verstecken“
– es wird schnell laut – frisst mehr Zeit als andere Unterrichtsformen – wenn die Gruppenmitglieder sich nicht sympathisch sind, funktioniert die Gruppenarbeit nicht – es besteht die Gefahr, auf die Muttersprache oder eine Mittlersprache (Englisch, Französisch) zu switchen, statt untereinander Deutsch zu sprechen |
Frontalunterricht | – alle bekommen den gleichen Input
-lässt sich gut planen und steuern, besonders bei großen Gruppen |
– auf individuelle Wünsche (schneller/langsamer/nochmal erklären) kann nicht eingegangen werden
– für die Lehrkraft ist es kognitiv anstrengend |
Noch weitere Vor- und Nachteile der Sozialformen findet ihr im Wiki 99 Stichwörter für den Fremdsprachenunterricht unter dem Eintrag „Sozialformen des Unterrichts“.
Lehrerverhalten
Und während die KursteilnehmerInnen alleine, zu zweit oder in der Gruppe arbeiten, kann der Lehrer schön die Füße hochlegen… Denkste! Die Lehrkraft hat natürlich immer etwas zu tun ;)
Beim Frontalunterricht ist die Aufgabe des Lehrers/ der Lehrerin klar: Er/sie steht vorne und erklärt etwas – der typische Lehrervortrag. Dabei kann er/sie auf Visualisierungen zurückgreifen, zum Beispiel durch das Erstellen eines Tafelbildes an Tafel oder Whiteboard oder mit Hilfe von Software wie Powerpoint oder Prezi. Gegebenenfalls muss er/sie den Vortrag unterbrechen, um auf Fragen einzugehen oder Störungen zu unterbinden.
Bei Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit muss der Lehrer/die Lehrerin ebenfalls die ganze Zeit aktiv bleiben. Theoretisch könnte er/sie nach dem Erklären der Aufgabenstellung einfach am Pult sitzen, bis die vorgegebene Bearbeitungszeit vorbei ist. Allerdings würde er/sie dann nicht mitbekommen, ob es Missverständnisse oder Fragen in Bezug auf die Aufgabenstellung gibt. Besser ist es daher, im Klassenzimmer herumzugehen und die SchülerInnen/Paare/Gruppen zu beobachten.
- Ist der Arbeitsauftrag klar?
- Kommen sie gut voran? Ist die Zeitvorgabe realistisch?
- Bei Textarbeit: Sind alle Wörter bekannt?
- Trifft die Aufgabe ihr Niveau, oder sind sie über- oder unterfordert?
- Sind die Gruppen gleich schnell, oder muss eine zusätzliche Aufgabe für die schnellere Gruppe gefunden werden? (Stichwort: Binnendifferenzierung)
- Sprechen sie Deutsch?
- Brauchen sie zusätzliches Material, zum Beispiel Papier, Stifte, Pappe, Würfel, Scheren, ….
- Bei Gruppen: Klappt die Aufgabenteilung und die Kommunikation innerhalb der Gruppe?
Beim Herumgehen sollte darauf geachtet werden, dass viele Lernende sich unter Druck fühlen, wenn ihnen jemand „über die Schulter guckt“ und sie sich dann natürlich anders verhalten, als wenn sie lediglich mit ihrem Partner/ ihrer Gruppe sprechen. Vereinbare ein Zeichen mit der Lerngruppe, das verwendet wird, wenn Hilfe benötigt wird (idealerweise ein stilles Zeichen, z.B. Hand heben statt schnipsen/rufen).
Möglichkeiten der Gruppeneinteilung
Am einfachsten und unkompliziertesten ist die Einteilung von Paaren bzw. Gruppen unter Berücksichtigung der Sitzordnung. So müssen keine Tische und Stühle verrückt werden und es geht keine Zeit mit der Gruppenfindung verloren. Allerdings gibt es verschiedene Gründe, die dagegen sprechen, die Gruppen immer gleich einzuteilen:
- Abwechslung
- die Sitznachbarn kennen sich und ihre Stärken und Schwächen bereits
- bei manchen Gruppenarbeiten bietet es sich an, die Gruppen nach Interesse zu bilden
- wenn Landsleute nebeneinander sitzen (= gleiche Sprache) kann man durch die Einteilung in verschiedene Gruppen verhindern, dass sie statt Deutsch ihre Muttersprache sprechen
- wenn Freunde nebeneinander sitzen, sprechen sie ggf. über andere Themen. Arbeitet man mit einem Kursteilnehmer zusammen, den man noch nicht so gut kennt, ist man meist ernsthafter bei der Sache.
Es gibt verschiedene weitere Möglichkeiten, Paare oder Gruppen einzuteilen:
- durchzählen: Wenn beispielsweise vier Gruppen gebildet werden sollen, zählen die KursteilnehmerInnen reihum von eins bis vier. Alle mit der Ziffer eins bilden eine Gruppe; alle mit der Ziffer zwei und so weiter.
- ordnen: Die KursteilnehmerInnen stellen sich der Reihe nach auf, zum Beispiel nach Alphabet (die Liste müsste der Lehrkraft ja vorlagen), oder, für mehr Humor: nach Körpergröße oder Alter. Idealerweise sind sie in dieser Reihe anders durchmischt als normal.
- spielerisch: durch Würfeln oder Streichhölzer ziehen. Hier muss darauf geachtet werden, dass die Gruppen dennoch gleich groß bleiben
- lehrergesteuert: natürlich besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass die Lehrkraft die Gruppen im Vorhinein einteilt und bekannt gibt, zum Beispiel bewusst starke und schwache SchülerInnen mischt.
Sozialformen im (Sprach-) Unterricht
Verschiedene Sozialformen passen zu verschiedenen Arten von Unterricht. Wenn man im Chemieunterricht ein Laborexperiment durchführt, ist eine Gruppe gut. Wenn man im Matheunterricht Prozentaufgaben löst, macht man das am liebsten alleine.
Denken wir kurz an die vier Fertigkeiten: hören, sprechen, lesen und schreiben.
- Hören: Hörtexte von CD im Plenum hören; Dialoge in Partnerarbeit sprechen und hören; der Lehrkraft im Plenum zuhören; einem vorgelesenen Text zuhören.
- Sprechen: mit dem Partner sprechen; In der Gruppe diskutieren; etwas vor dem Plenum vortragen; im Plenum einen Text laut vorlesen; die richtige Lösung einer Übung nennen
- Lesen: einen Text in Stillarbeit lesen; im Plenum einen Text laut vorlesen.
- Schreiben: In Partnerarbeit Sätze formulieren und aufschreiben. Alleine einen Aufsatz schreiben; im Plenum diktierte Sätze aufschreiben
Wie ihr seht, gibt es verschiedene Kombinationen von Sozialformen und Fertigkeiten.
Unterrichtsplanung
Noch ein paar Tipps für die Bestimmung der Sozialform bei der Unterrichtsplanung:
- Schreiben dauert lange und verlangt eine hohe Konzentration. Es bietet sich an, Schreibaufgaben als Hausaufgabe aufzugeben, so dass die KursteilnehmerInnen genug Zeit und Ruhe haben, ihren Text zu entwerfen.
- Sprechen ist ungemein wichtig. Deshalb sollte die Sprechzeit der einzelnen KursteilnehmerInnen möglichst hoch sein. Durch Partnerarbeit können viele Personen gleichzeitig sprechen.
- Die meisten Übungen aus Lehrwerken (zum Beispiel Einsetzübungen, Zuordnungsübungen, Sätze bilden) lassen sich am besten alleine oder in Partnerarbeit bearbeiten. Gruppenarbeit ist hier too much.
- Bitte beachtet, dass es verschiedene Lerntypen und –präferenzen gibt. Es gibt Menschen, die gerne und leicht über das Gehör lernen (auditiver Lerntyp) und zum Beispiel bei Vorträgen viel „mitnehmen“. Dem gegenüber steht der visuelle Lerntyp, der gerne Notizen macht und visuelle Information (Texte, Tabellen, Grafiken) leichter verinnerlicht. Ebenfalls gibt es den sozialen Lerntyp, der am besten im Austausch mit anderen lernt. Du solltest bei deinem Unterricht versuchen, allen Lerntypen gerecht zu werden. Manche finden Einzelarbeit langweilig und sprechen lieber mit ihren Sitznachbarn; andere sind davon genervt und möchten lieber in Ruhe ihre Notizen vervollständigen, bevor sie sich in die Kommunikation begeben.
- Plane deinen Unterricht möglichst abwechslungsreich.
- In vielen Lehrwerken bzw. den passenden Lehrerhandreichungen sind bereits Vorschläge angegeben, in welcher Sozialform die jeweilige Aufgabe absolviert werden sollen.
- Es ist nicht notwendig, auf einer Sozialform zu beharren. Du kannst deinen SchülerInnen auch freistellen, ob sie die Aufgabe lieber alleine oder mit ihrem Sitznachbarn erledigen möchten.
- Höre auf das Feedback aus dem Kurs und berücksichtige Wünsche nach einer bestimmten Arbeitsform.
- Die Anordnung von Tischen und Stühlen im Raum hat einen Einfluss darauf, wie einfach die Sozialform gewechselt werden kann. Die U-Form begünstigt Plenumsdiskussion, gleichzeitig gibt es genug Platz für die Bildung von Gruppen.
Die Sozialformen im Unterricht für Geflüchtete
An dieser Stelle möchte ich nochmal auf den Artikel „Lernungewohnte Flüchtlinge im Deutschkurs“ verweisen. Nicht alle Flüchtlinge haben in ihren Heimatländern bzw. in ihrer bisherigen Schullaufbahn Erfahrungen mit allen Sozialformen gesammelt. Wer zum Beispiel nur Frontalunterricht gewöhnt ist, wird sich schwer tun, seine Rolle in einer Gruppenarbeit zu finden.
Fazit
Der Einsatz verschiedener Sozialformen ist wichtig für einen abwechslungsreichen und motivierenden Unterricht. Jede Sozialform hat Vor- und Nachteile und sollte demnach in Abhängigkeit von der Aufgabe/ Übung gewählt werden.
- 99 Stichworte für den Fremdsprachenunterricht – Sozialformen des Unterrichts
- DaF unterrichten – Basiswissen Didaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, S. 108ff.
- Landesakademie/Lehrerfortbildung Baden-Württemberg – Sozialformen
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