Die beiden größten Probleme von Vereinen – und die Lösung

Ich habe in den letzten Jahren viele verschiedene Vereine, Projekte und Hochschulgruppen kennengelernt – nicht nur in der Flüchtlingsarbeit, sondern in ganz unterschiedlichen Gebieten. Von Nachhaltigkeit, Umwelt- und Tierschutz, über Patenschafts- und Integrationsprojekte und alternativen Medien bis hin zur Studierendengruppe, die ein mehrtägiges Kultursymposium organisiert.

Was sie eint? Sie haben mindestens eines dieser beiden Probleme:

  1. Eine tolle (und realistische) Idee, aber nicht genug Mitglieder
  2. Eine tolle Idee und ein super Team, aber nicht genug Geld für die Umsetzung

Beide Probleme sind schwerwiegend und können im schlimmsten Fall das komplette Projekt gefährden. Findet man beispielsweise bei einem Patenschaftsprojekt nicht genug Mitglieder auf beiden Seiten, um jede/n in ein Team zu vermitteln, entsteht Enttäuschung oder sogar Frustration. Manche Projekte benötigen schlichtweg Geld für Materialkosten, um überhaupt starten zu können – man denke an eine Fahrradwerkstatt mit einem Raum, Werkzeug und Verbrauchsmaterial.

Die größten Probleme von ehrenamtlichen Deutschkursen

In Bezug auf Deutschkurse für Flüchtlinge treten diese Probleme ebenfalls auf. Dabei sind sie den AkteurInnen vielleicht gar nicht bewusst, sondern äußern sich eher durch Symptome.

Problem 1: Kein Geld

Ich erhalte zum Beispiel immer wieder Mails oder beobachte Hilfsgesuche bei Facebook, in denen nach kostenlosem Material gesucht wird, da „gar kein“ Budget vorhanden ist. Da werden dann blindlings alle möglichen kostenlosen Arbeitsblätter, Leseproben und zum Teil urheberrechtlich geschütztes Material heruntergeladen und ausgedruckt. Dass das kostenlos ist, ist natürlich eine Illusion, denn man investiert (a) Geld für Papier und Druckertinte und (b) Zeit bei der Suche nach Material und dem Korrigieren und Anpassen dieser „Fundstücke“. (Mehr zur Problematik der kostenlosen Webseiten und Apps)

Hier und da ein Arbeitsblatt ergänzend einzusetzen ist natürlich vollkommen in Ordnung – dauerhaft kann man guten (!) Unterricht meiner Meinung nach jedoch nicht auf solchen Sammlungen aufbauen. Es gibt nicht umsonst umfassende Lehrwerkreihen mit einer durchdachten Didaktik und Methodik, Zusatzmaterialien und einer Qualitätsprüfung durch LektorInnen und die Verlage. Bevor man 5€ Kopierkosten für wirre und zum Teil fehlerhafte Arbeitsblätter ausgibt, sollte man lieber wenige Euro mehr investieren und dafür ein etabliertes Lehrbuch kaufen. Gerade für niedrigschwellige Angebote und Einstiegskurse gibt es ja mittlerweile eine große Auswahl. Wenn „kein Geld“ da ist, wird aber stattdessen auf die Notlösung mit den zusammengewürfelten Kopien zurückgegriffen.

Problem 2: Nicht genug Mitglieder

Das Problem der fehlenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter äußert sich in der Regel durch die Frage nach Tipps zur Binnendifferenzierung. Ehrenamtliche fragen sich, wie sie in ihrem Deutschkurs die AnalphabetInnen und die IntegrationskursabsolventInnen unter einen Hut bringen können. Meine Antwort darauf? Gar nicht. Das geht nicht. Binnendifferenzierung ist selbst für ausgebildete Lehrkräfte eine Herausforderung. Von einem Rettungssanitäter erwartet ja auch niemand, dass er eine OP am offenen Herzen meistert, oder? Nein, dafür gibt es Chirurgen.

Für die Ehrenamtlichen wäre es ungemein einfacher, in kleinen und möglichst homogenen Gruppen zu arbeiten, die den TeilnehmerInnen genau das geben, was sie brauchen. Das könnte zum Beispiel so aussehen:

  • ein Anfängerkurs für langsame LernerInnen
  • ein Anfängerkurs mit erhöhtem Tempo für die Lerngewohnten
  • Hausaufgabenbetreuung für diejenigen, die schon im Integrationskurs sind
  • ein Konversationskurs für alle, die ihre mündlichen Fertigkeiten verbessern wollen
  • eine Alpha-Gruppe für alle, die noch Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben

Die Bildung neuer Kursgruppen scheitert aber in der Regel daran, dass es nicht genug Leute gibt, die die Leitung übernehmen können. So „lernen“ dann weiterhin alle zusammen. Ja, das Wort lernen steht hier bewusst in Anführungszeichen.

Eine Lösung(smöglichkeit)

Wie kann man diese Probleme nun lösen? Im Titel dieses Textes habe ich ja ganz frech behauptet, die Lösung zu kennen. Nun, einfach gesagt brauchen die Vereine mehr Geld, mehr HelferInnen oder beides.

Ein Weg, dies zu erreichen ist die Erhöhung der Sichtbarkeit des Vereins. Man könnte das ganze auch Öffentlichkeitsarbeit nennen, oder eine stärkere Präsenz. Ich mag das Wort Sichtbarkeit aber sehr gerne und verwende es deshalb hier. Das Grundprinzip ist ganz einfach:

Wenn niemand weiß, was ihr macht, kann euch auch niemand unterstützen.

Oder, umgedreht:

Die Leute müssen von euch wissen und euch sehen können, um euch zu unterstützen.

Das klingt einleuchtend, oder? Viele Vereine sind mit ihrem Haupt-Vereinszweck so beschäftigt, dass sie das Drumherum vergessen. Oder es ist ihnen schlichtweg unangenehm, über ihr Ehrenamt zu reden, da sie nicht den Eindruck erwecken wollen, mit ihrem Engagement prahlen zu wollen.

Sichtbarkeit schaffen

Wie erfahren denn andere Leute vom Verein und seinen Aktivitäten? Die Mitglieder erzählen sicher ihren Freunden und Bekannten davon, und wenn ihr Glück habt, schreibt ein Journalist in der Lokalzeitung etwas über euch. Und dann?

Dann müsst ihr selber aktiv werden.

  • Betreibt Networking, indem ihr gezielt spannenden Leute ansprecht und ein Netzwerk schafft.
  • Entwickelt euch ein Logo, ein einheitliches Design (Wiederkennungswert!) und erstellt Druckmaterialien wie Aushänge oder Broschüren.
  • Pflegt alte und neue Beziehungen, indem ihr sie regelmäßig auf dem Laufenden haltet und euch nicht nur dann meldet, wenn es sprichwörtlich brennt.
  • Nutzt eure Webseite, Social Media und/oder einen Blog, um auch im Netz sichtbar zu werden.
  • Macht transparent, wer ihr seid, was ihr macht, was eure Ziele und Pläne sind und wo ihr gerade steht.

Meiner Erfahrung nach ist Transparenz ein wahnsinnig wichtiger Faktor. Wenn ihr Informationen über euch herausgebt und anderen die Möglichkeit gebt, sich ein Bild von euch und eurer Arbeit zu machen, sind sie viel eher gewillt, euch zu unterstützen.

Beispiel A

30 Geflüchtete haben bei Verein A erfolgreich einen Deutschkurs absolviert. Nun braucht der Verein 30 x 15€ für das Folgebuch, um den Deutschkurs fortsetzen zu können. Der Verein streut diese Info zusammen mit einem Foto der KursteilnehmerInnen. Wenn ich weiß, wofür das Geld konkret eingesetzt wird (oder sogar weiß, dass meine Spende die Weiterbildung von zwei oder drei Leuten sichert) bin ich eher bereit zu spenden, als beim allgemeinen Aufruf „Verein A braucht 450€“.

Beispiel B

Der Verein B will sein Kursangebot ausweiten und sucht nach neuen HelferInnen. Ich überlege, mich zu melden, bin mir aber noch unsicher, da ich nicht abschätzen kann, was auf mich zukommt, ob ich das Ehrenamt zeitlich stemmen kann und ob ich überhaupt dafür geeignet bin. Auf der Vereinswebseite finde ich alle möglichen Infos über den Verein und die Tätigkeit. Meine Fragen wurden beantwortet und ich erfahre sogar, dass es einen Einarbeitungsworkshop für die Neuen gibt. Außerdem kann ich mir durch die Fotos bereits einen Eindruck von den anderen Mitgliedern machen und habe eine geringere Hemmschwelle, den Verein zu kontaktieren.

Das zweite Beispiel ist bei meiner Tätigkeit als Öffentlichkeitsvorstand in einer sozialen Hochschulgruppe während meiner Bachelorstudienzeit immer wieder vorgekommen: Vor allem am Semsteranfang überlegen viele Studis, einer Hochschulgruppe beizutreten und suchen immer wieder die gleichen Infos: Was mache ich da? Mit wem arbeite ich da zusammen? Wie viel Zeit kostet das? Kann ich das mit meinem Studium vereinbaren? Indem wir versuchten, so viele Infos wie möglich nach außen zu tragen, fanden wir geeignete InteressentInnen – oder sie zu uns. Es ist häufig eine Hürde, den ersten Kontakt herzustellen und diese Dinge zu erfragen. Umso unangenehmer ist es, dann wieder abzusagen, wenn Erwartungen nicht erfüllt wurden. Wir setzten daher auf die Methode, solche Infos bereits im Vorfeld auf unserer Webseite und bei unverbindlichen Infoabenden herauszugeben. Diejenigen, die sich daraufhin bei uns meldeten, konnten bereits ganz gut abschätzen, ob der Verein zu ihnen passt oder nicht.

Viel hilft viel

Nach diesem Prinzip können auch Vereine in der Flüchtlingsarbeit agieren: Nutzt geeignete Kommunikationskanäle und beantwortet Fragen, bevor sie überhaupt aufkommen.

  • Wer seid ihr?
  • Was macht ihr, und warum?
  • Wie macht ihr das?
  • Wie kann man euch unterstützen? Braucht ihr Geld-, Zeit- oder Sachspenden?
  • Was kommt auf mich zu, wenn ich bei euch mitarbeite?

Wenn Menschen diese Information (auch unterbewusst) über euch haben, werden sie sie nutzen und weitertragen. Jede/r von uns kennt das Phänomen: Wenn man zum Beispiel einen Umzug plant und andere bittet, die Augen und Ohren offen zu halten, bekommt man schnell Wohnungsanzeigen weitergeleitet oder Tipps gegeben. Unsere Freunde und Bekannten haben die Info abgespeichert und denken bei jedem passenden Angebot an uns. Hätten wir niemandem erzählt, dass wir demnächst umziehen wollen, hätten wir all diese Unterstützung nicht.

Genauso kann es bei Vereinen passieren: Wenn ihr euch sichtbar macht und kommuniziert, was ihr macht und wo ihr Unterstützung braucht, werden die Leute euch im Hinterkopf behalten. Eine Ausschreibung für einen Förderpreis? Ein Sonderangebot für Schulmaterialien? Ein wertvoller Kontakt? Man denkt an euch und leitet euch die Informationsschnipsel weiter.

Im besten Fall werdet ihr auch einfach gefunden. Denkt zum Beispiel an Personen, die neu in eine Stadt ziehen und zum Kontakteknüpfen einem Verein beitreten möchten. Diese Leute können via Google (Ehrenamt Stadt X) auf eure Gruppe stoßen. Oder ein lokales Unternehmen wird auf euch aufmerksam und möchte das jährliche Spendenbudget für eure Nachbarschaftshilfe aufwenden.

Denkt daran: Die Leute können euch nicht unterstützen, wenn sie nicht wissen, dass es euch gibt und wo ihr Hilfe braucht. Kommuniziert!


Wenn ihr bis hierhin gelesen habt, möchte ich mich herzlich bei euch bedanken und euch noch einen Tipp geben:

Ein mögliches Hilfsmittel hin zu mehr Sichtbarkeit und Öffentlichkeitsarbeit kann ein Vereinsblog sein. Wenn ihr Lust habt, darüber nachzudenken, wie so ein Vereinsblog für euren Zweck aussehen könnte, dann macht bei meinem Onlinekurs Bloggen für Vereine und Hochschulgruppen mit. Es handelt sich um einen kostenlosen Selbstlernkurs, d.h. ich habe in den vergangenen Wochen 2 Stunden Videomaterial und 20 Arbeitsblätter zum Thema Bloggen entwickelt, die ihr in eurem eigenen Tempo durcharbeiten könnt. Das ganze ist Teil meiner Masterarbeit und absolut nicht mit kommerziellen Interessen oder irgendwelchen Verpflichtungen verbunden. Ihr lest mehr darüber auf der About-Seite des Kurses.

Mir liegt das  Thema Sichtbarkeit & Öffentlichkeitsarbeit für gemeinnützige Zwecke sehr am Herzen und ich schreibe gern mehr darüber, wenn ihr möchtet.

Viele Grüße
Kato

 

Bilder: Ellie Pritts, Maarten van den Heuvel und Glen McCallum via Unsplash.com (CC0)