Stundenanfang mit Wiederholung – oder: Warum ich es für Zeitverschwendung halte, im (Uni-) Kurs mit der Hausaufgabenkontrolle zu starten

In diesem Text stelle ich euch meine Methode vor, wie ich in einem universitären Grammatikkurs meine Stundenanfänge gestalte.


Zunächst einmal muss ich hier ganz deutlich die Unterscheidung treffen, für was für LernerInnen und unter welchen Bedingungen ich diese Methode nutze.

Der Kurs, von dem ich euch jetzt erzähle, ist ein wöchentlicher Kurs (90 Minuten) an der Universität. In der Regel wird pro Woche ein neues Thema behandelt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer (TN) sind Erasmus-Austauschstudierende, Masterstudierende aus dem Ausland und Doktoranden. Es handelt sich also um weitestgehend lerngewohnte, motivierte und selbstständige TN.

Meine Vorgehensweise würde für einen Kurs mit Lernungewohnten vermutlich nicht funktionieren. Mehr dazu später.

Stundenanfang mit Wiederholung

Nach der Begrüßung (Guten Tag/Abend, wie geht’s?) stelle ich die Eingangsfrage: „Was haben wir letzte Stunde gemacht/gelernt?“

Beim ersten Mal (also zu Beginn der zweiten Unterrichtsstunde mit dieser Gruppe) muss man eventuell noch dazu erklären: „Wir machen eine Wiederholung – ihr fangt an.“ Spätestens beim dritten Mal sollten die TN wissen, dass die Stunde stets mit der Wiederholung beginnt.

Im besten Fall rufen dann die TN Stichworte aus der letzten Stunde in den Raum. (Wenn es am Anfang hakt, leite ich mit einfachen Fragen zum Thema, um den Redefluss zu starten.)

Ich stelle mich unwissend, lasse die TN erklären und schreibe dabei an die Tafel. Mit Nachfragen lenke ich, z.B. „Was ist das?“ „Wie lautet die Regel?“ „Gibt es auch Ausnahmen?“  Der Haupt-Redeanteil liegt bei den Studierenden!

Ich verlasse mich nicht nur auf die gut vorbereiteten Studierenden, die sich freiwillig melden, sondern rufe auch die stillen TN auf.  Jede/r TN muss damit rechnen, gefragt zu werden. Normalerweise möchten die TN nicht „dumm“ dastehen und bereiten sich daher vor.

Dabei ist es wichtig, eine Balance zu finden: Ich muss streng genug sein, damit die TN Respekt vor der Abfrage haben, darf aber nicht so streng sein, dass sich Druck und Angst entwickeln. Angst blockiert das Lernen!

Humor und Lockerheit ist wichtig, um diese Balance zu finden. Man kann zum Beispiel einen TN fragen, was er am Wochenende gemacht hat und seine Antwort für einen Beispielsatz verwenden. Wenn ein verspätete/r TN den Raum betritt, kann man ihn/sie direkt für ein Beispiel verwenden.

Durch die Abfrage lasse ich die Gruppe spüren, dass ich von ihnen erwarte, diese Inhalte zu Hause wiederholt und verinnerlicht zu haben. Wenn jemand jedoch nicht antworten kann, sollte er/sie nicht ausgelacht oder beschämt werden.

Ich appelliere lieber an die Eigenverantwortlichkeit und an das Gewissen: Du hast das schon gelernt. Es liegt in deiner Verantwortung, das zu verinnerlichen. Ich erwarte von dir, dass du das lernst. Wenn du das nicht gut kannst, fehlt dir die Basis für die nächste Lektion. Du solltest dir mehr Zeit dafür nehmen. Auf keinen Fall sollte man TN negative Gefühle vermitteln: Du bist dumm/faul/untalentiert; Du wirst das nicht schaffen; Du gehörst hier nicht hin.

Innerhalb kurzer Zeit entsteht so eine Wiederholung der Kernthemen der letzten Unterrichtsstunde. Regeln und kurze Beispiele schreibe ich dabei an die Tafel, so dass die Information über mehrere Sinne präsent ist. Ich springe mit Erklärungen nur ein, wenn ich merke, dass die TN nicht weiterkommen oder korrigiere, wenn jemand etwas Falsches gesagt hat.

Die Herkunft dieser Methode

Ich habe mir diese Technik bei einem meiner Dozenten aus dem Bachelorstudium abgeschaut: Rolf Koeppel. Er fragte im Seminar zu Psycholinguistik und Spracherwerb zu Beginn der Stunde stets die Inhalte der Texte, die wir zu dieser Stunde lesen sollten, ab. Dabei schaffte er es, anstelle eines Frage-Antwort-Pingpongs eher ein flüssiges Gespräch mit den TN aufzubauen und die bereits angesprochene Balance zu halten. (Herr Koeppel hat auch ein ausgezeichnetes Buch über DaF-Unterricht geschrieben, das ich an dieser Stelle gern empfehle!)

 

Online-Zusammenfassung und Online-Hausaufgaben

Diese Methode funktioniert für mich gut, da ich sie zusammen mit meinem Blended-Learning-Konzept einsetze: Auf einem passwortgeschützten Tumblr-Blog stelle ich Zusammenfassungen der Kursinhalte sowie eine Online-Hausaufgabe pro Stunde ein. Die Online-HA erledigen die TN in einem Google Form. Ihre Antworten erhalten sie danach per E-Mail zugeschickt. Vor der nächsten Stunde wird die HA deaktiviert und eine Musterlösung veröffentlicht. Es liegt in der Eigenverantwortung der Studierenden, ihre Antworten mit der Musterlösung zu vergleichen.

Statt die HA gemeinsam im Klassenraum zu kontrollieren, wird auf die Musterlösung verwiesen. Bei Unklarheiten haben die TN die Möglichkeit, ihre Frage per Mail oder persönlich zu stellen: vor der Stunde, während der Wiederholung oder nach der Stunde.

Wir müssen also keine der wertvollen Präsenzzeit mit Hausaufgabenkontrolle verschwenden.

 

Aber die Kontrolle der Hausaufgaben ist doch wichtig?!

Ja, ich finde eine Kontrollmöglichkeit wichtig – aber ich finde es in (Uni-) Kursen nicht sinnvoll, damit zu beginnen. In meinem Grammatikkurs für Fortgeschrittene gab es unterschiedliche Vorkenntnisse. Bei jeder Einheit gab es ein paar TN, die dieses Thema bereits in einem anderen Kurs gelernt hatten und die sich bei einer Hausaufgabenkontrolle gelangweilt hätten; für andere war das Thema neu und sie wären mit einer schnellen/kompakten Wiederholung überfordert gewesen. Wer gar keine Hausaufgaben gemacht hat, kann nicht mitreden oder schreibt sich schnell die richtigen Antworten auf und hat dadurch keinen Lerneffekt.

Wenn ich meine Gruppe nur 90 Minuten in der Woche sehe, möchte ich diese Zeit möglichst effektiv nutzen. Bei motivierten TN funktioniert Selbstkontrolle sehr gut.

Die Hausaufgabenkontrolle zu Beginn der Stunde finde ich sinnvoll, wenn…

  • der Kurs sehr stabil ist (immer die gleiche Gruppe, alle machen HA)
  • die TN Struktur brauchen
  • die TN Schwierigkeiten mit selbstständigem Arbeiten (Eigenkontrolle) haben und/oder sehr unsicher sind und das Bedürfnis nach viel Feedback und Nähe zur Lehrkraft haben.

Tipp: Probiert mal bei Stationenarbeit aus, ob die TN mit der Methode der Selbstkontrolle gut arbeiten können.

 

Vorteile der Wiederholung:

  • Wenn TN sich verspäten (egal ob aus Faulheit, Unachtsamkeit oder weil sie den Bus verpasst haben), verpassen sie in den ersten Minuten „nur“ die Wiederholung.
  • TN, die in der letzten Stunde nicht da waren, erhalten so eine zusätzliche Wiederholung* und haben die Chance, Rückfragen zu stellen. (* zusätzlich zur Online-Zusammenfassung)
  • Die Stunde beginnt mit mehr Action als bei einer Hausaufgabenkontrolle
  • TN können dran genommen werden -> aufmerksamer
  • Leichter Druck, sich die Unterlagen vorher nochmal anzuschauen -> Angst vor Unwissenheit. Wichtig: Nicht zu viel Druck ausüben! Die TN dürfen keine Angst vorm Kurs entwickeln.
  • TN können ihr eigenes Lernen kontrollieren (wenn sie schon eine Zusammenfassung der letzten Stunde für sich erstellt haben)
  • Alle werden eingebunden, es ist für alle relevant.
  • Die TN sehen, was die wichtigsten Aspekte des Themas sind (Klausurvorbereitung).

 

Einschränkungen

Die hier vorgestellte Methode funktioniert bei Kursen mit geringer Progression vermutlich nicht so gut.  Außerdem ist ein positives Klassenklima notwendig. Wenn die TN sehr schüchtern sind und sich nicht trauen, vorm Kurs zu sprechen, wird kein flüssiges Gespräch zu Stande kommen.

Es kann auch ein Problem sein, wenn man ein oder zwei sehr aktive und extrovertierte TN hat, die die Wiederholung dominieren. Hier muss die Lehrkraft als ModeratorIn einschreiten und dafür sorgen, dass auch die anderen TN zu Wort kommen.

 

Probiert es doch mal aus, eure TN zu „Wiederholern“ zu machen ;)

Photo by Matt Hoffman on Unsplash